Als ich auf die Uhr schaue um aufzustehen zeigt diese 7:00 an. Ich bin ein wenig ungläubig, da ich mich nicht daran erinnern kann, wann ich das letzte Mal so lange geschlafen habe. In Tansania ist es jetzt sogar 1 Stunde später.
Ursprünglich hatte ich vor, heute Morgen wieder mit dem Laufen zu beginnen. Da aber mein linkes Ohr immer noch in Mitleidenschaft gezogen ist, und auch meine Bronchen sich eine Stunde lang durch diverse Hustenanfälle bemerkbar machen, beschließe ich, den Wiedereinstieg in mein Sportprogramm zu verschieben.
Mit meinem Kaffee geht es auf den Balkon. Immer noch kann ich diese guttuhende Stille besonders wahrnehmen und geniessen. Ein Zeichen meiner derzeit inneren Ruhe ist es auch, dass keinerlei Blicke auf die Uhr lenke, die sonst doch immer so sehr meinen Tagesablauf bestimmt. Alles wird so lange dauern wie es dauert.
Ich möchte noch auf den Markt. Frisches Obst und Gemüse kaufen. Denn am Dienstag veranstalte ich einen "afrikanischen Abend" für meine Freunde, die es mit einer großen Zuverlässigkeit und Fürsorge für meine Wohnung und vor allem für meine Katze geschafft haben, dass ich mir zu keiner Zeit in Tansania Gedanken oder gar Sorgen gemacht hätte, ob Zuhause alles gut geht.
Ich habe schon ein paar Rezepte rausgesucht, und auch wenn ich nun alles andere als ein Küchengenie bin, irgendwie werde ich das schon hinbekommen. Mir ist so viel Neues und Ungewohntes in den letzten Wochen begegnet, dass ich mir davor auch keinen Kopf machen werde. Mein Vorteil ist zudem, dass meine Freunde ja keinen Vergleich haben, sie wissen nicht, wie es in Tansania schmeckt. So wird meine Kochkunst der Maßstab alles Geschmacks sein. Sollen sie mir erst einmal das Gegenteil beweisen :)
Für mein Frühstück öffne ich die Kühlschranktür, und da ist er wieder: der erste bewusste Moment bezüglich des Unterschiedes zu den letzten Wochen.
Durch meinen Einkauf gestern ist der Kühlschrank sehr gut gefüllt. Vor allem mit den unterschiedlichsten Milchprodukten wie Joghurt, Milch, Käse, Quark und Hüttenkäse. Wahrscheinlich viel zu viel, eingekauft im Überschwang dessen, dass es mir nun wieder zur Verfügung steht.
Und ich stehe vor dem geöffneten Kühlschrank und der Anblick der Vielfalt und das Gefühl des "ausreichend versorgt-seins", ist ein sehr sehr gutes. Und darüber, dass die Kühlkette durch einen eventuellen Stromausfall unterbrochen werden könnte, darüber verschwende ich nicht eine Sekunde einen Gedanken.
Und doch stutze ich auch. Ich habe in Tansania nicht wirklich etwas vermisst. Ich musste zu keiner Zeit Hunger leiden. Sehr wohl wissend, dass ich auch dort priviligiert war. So sehr ich auch versucht habe, in das Leben und den Alltag dort einzusteigen und ein Teil davon zu werden. Hatte das Weißbrot zum Frühstück für mich nicht gerade einen ausreichenden Sättigungscharakter, so bin ich eben in einen "Muzungu-Supermarkt" gegangen, und habe mir anderes Brot gekauft. Eine Möglichkeit, die vielen Einheimischen verwehrt bleibt, da sie die Preise nicht bezahlen können.
Doch dachte ich zum Beispiel, dass ich auf meinen Kaffee nicht verzichten könnte, so stellte ich nach ein paar Tagen fest, dass er mir nicht wirklich fehlte. Ja, ich habe meine erste Tasse Kaffee im "Africafe" sehr genossen, und auch hier zu Hause bin ich wieder voll in meine gewohnte Tagesration Kaffee eingestiegen - doch bräuchte ich diesen, um zu "leben"? Nein, definitiv nicht.
So manches mal, als wir uns Abends im Hostel unterhielten, stellten wir fest, dass die Tansanianer (und nur für die kann ich ein klein bisschen einschätzen) in etwa so lebten, wie es in Deutschland wohl vor 50, 60 Jahren der Fall war (damit meine ich den "vermeintlichen" Fortschritt, nicht Armut, Hunger oder Krankheiten). Das erst einmal war nur ein Vergleich. Aber zwischen den Zeilen, da war er auch eine Bewertung. In der Art: dass die Afrikaner in der Entwicklung um diesen Zeitfaktor zurückliegen. Und das wiederrum macht mich nachdenklich. Denn ist unsere Entwicklung, unser Fortschritt das Maß aller Dinge?
Ja, in Tansania wird die Wäsche noch überwiegend von Hand gewaschen. Und meist mit kaltem Wasser. Hier füttere ich gerade meine Waschmaschine im 3-Stunden-Rhytmus und lasse sie die Arbeit tun. Um was mit der "geschenkten" Zeit anzufangen?
Während in Tansania die Wäsche oft in einer kleinen Gruppe von Frauen erledigt wurde die sich in der Zeit unterhielten und austauschten, suche ich via Internet-Suchmaschine nach ein paar neuen Schuhen (2 Paar meiner Schuhe habe ich in Tansania gelassen, weil sie dermaßen defekt waren, dass wirklich nichts mehr zu retten war) oder setze mich vor den Fernseher. Wer von beiden - die Afrikanerin oder ich - hat nun ihre Zeit besser "genutzt"?
Ich schnappe mir meinen Einkaufstrolley um zum Markt zu fahren. Denn ich weiß, dass der Umfang meiner Einkäufe für Tüten, Tasche oder Rucksack einfach zu groß wäre. Komfortabel aber schon in einer klein wenig schrägen Körperhaltung mache ich mich mit dem Teil auf den Weg, zu dem einzigen Markt im Umkreis.
In Tansania hingegen lief ich keine 200 Meter, da kam ich an einen kleinen Stand mit Obst und Gemüse. Und hätte ich es den Afrikanerinnen gleichtun können, so hätte ich meine Einkäufe dann in einem Behälter auf dem Kopf transportiert. Diese Art von Transport ist nachgewieseren Maßen mit einer sehr gesunden Körperhaltung durch die gerade Wirbelsäulenstellung ausgezeichnet. Wer von beiden - die Afrikanerin oder ich - ist nun weiter in ihrer Entwicklung zum "aufrechten Gang"?
Schmunzeln musste ich für mich, als ich nach meinem Einkauf kurz bemerkte, wie ich mit der Marktfrau um den Preis verhandeln wollte. Ich bin nun so gar kein Typ für Handeln und Feilschen, aber das ist in Tansania absolut obligatorisch. Sonst zahlt man für Waren fast das Doppelte (auf Märkten und Ständen, nicht im Supermarkt oder Laden!) von eigentlich gängigen Preis. Und auch das habe ich gelernt, und war nachher gar nicht mehr so schwierig. Wobei ich teilweise immer noch zu viel bezahlt habe, weil ich mich dann doch nicht getraut habe, mein Einstiegsangebot relativ niedrig zu wählen.
Aber hier in Deutschland ist Handeln eher unüblich. Macht das Einkaufen für mich entspannter. Allerdings sind die Preise auch um ein Vielfaches höher. Ja, ich weiß, das wiederrum lässt sich nicht vergleichen.
22.07.2016 Die erste Nachlese
Der Wecker klingelt wie gewohnt um 4:30 Uhr. Und ich habe erst einmal große Schwierigkeiten zu orten, woher die Musik da plötzlich kommt. Solche Schwierigkeiten beim Aufwachen hatte ich schon lange nicht mehr.
Doch da ich heute auch schon Termine habe, schaffe ich es nach dem 3. Wiederholungsklingeln tatsächlich aus dem Bett.
Wie immer zu Hause, koche ich mir einen Kaffee, hole mir eine Zigarette und setze mich auf den Balkon um in den Tag zu starten. Es ist 5:00 Uhr und so herrlich ruhig. Und mit über 20 Grad fantastisch wohl temperiert.
Ich genieße diese Ruhe. Die um mich herum und die in mir. Es ist ein toller, bewusster Moment.
Ohne Eile gehe ich ausgiebigst duschen - mit einer Wassertemperatur, ich ich ganz alleine gestalten kann :). Ich frühstücke in Ruhe und lecker, weil mir meine Freundinnen vor meiner Ankunft noch den Kühlschrank mit allem Notwendigen (und ein bisschen mehr) ausgestattet haben.
Ich verstaue noch weitere Sachen und kümmere mich um die Wäsche. Zwischendurch zieht es mich immer wieder auf den Balkon weil diese Stille dort eine ungeheure Faszination auf mich ausübt.
Ich gehe bei allem ruhig und gelassen vor und irgendwann, ohne eigentlich so genau zu wissen, wie spät es ist, mache ich mich auf den Weg zu meinem Termin nach Düsseldorf.
Das erste was mir auffällt als ich die erste Meter mit meinem Auto unterwegs bin ist, wie weich und gut gefedert man doch in einem Fahrzeug sitzen kann. Die Dala Dalas der letzten Woche besaßen so etwas wie eine Federung wohl eher nicht.
Ich parke mein Auto, entscheide mich gegen einen Fußmarsch in die Stadt und nehme die U-Bahn. Ich habe einen Stehplatz, da die Sitzplätze belegt sind. Und fahre komfortabelst. Selbst im Stehen.
Das Wetter ist auf meiner Seite, ich kaufe mir ein Müsli, suche mir einen Platz zum Sitzen, nehme mein 2. Frühstück ein und schreibe ein paar Mails. Und mir geht es gut. Richtig, richtig gut.
Ich bin ausgefüllt von: Stolz! Ich kann mich nicht erinnern, jemals so stolz gewesen zu sein. Auf das was ich die zurückliegenden Wochen geschafft habe. Gemacht habe. Getan habe. "Einfach so". Gut, mit der mir eigenen gründlichen Vorbereitung und Planung, dennoch, das eigentliche Ereigniss folgt immer seinem eigenen Gesetz und ich habe es gemeistert!
Ich sitze auf diesem Stein, schaue um mich herum, habe meinen Kopfhörer in den Ohren. Ich bin so stolz auf mich! Das kann ich kaum geschreiben. Und nicht nur, dass ich so stolz bin freut mich enorm. Sondern auch der Umstand, dass ich das für mich so sein darf. Dass es nicht die kleinste Stimme in mir gibt, die dieses Gefühl zu schmälern versucht.
Ich hatte einen Impuls. Aus diesem Impuls wurde eine Idee geborgen. Diese habe ich in eine Planung umgewandelt und Vorbereitungen getroffen. Über 7 Monate lang. Ich auf mich ganz alleine gestellt. Mit der Unterstützung meiner Freunde. Ich werde diese Reise alleine antreten und um die lieben Menschen wissen, die mich gedanklich und gefühlt begleiten.
Ich habe diese fast 6 Wochen in einem fremden Kontinent, mit fremder Kultur, mit fremder Sprache, mit fremden Menschen gemeistert. Und ich habe es gut gemacht! Richtig gut! Ich bin über so viele meiner eigenen Grenzen hinausgegangen. Bei machen wusste ich im Vorfeld darum, dass dies auf mich zukommt. Andere wiederrum traten erst "vor Ort" auf.
Was dieses Gefühl noch mit sich bringt, was es tut oder eben nicht, das weiß ich heute (noch) nicht. Aber: ich bin sehr stolz auf mich! Und ich darf es auch sein!