Diese Fabel beruht auf einem sehr persönlichem Erlebnis. Zu persönlich für die virtuelle Welt :). Dennoch wollte ich sie nicht in den Tiefen meines Computers ein stilles und unbeachtetes Dasein fristen lassen ...
Es war einmal …
… ein kleiner großer Braunbär. Dieser zog tagein und tagaus seine Runden durch den dichten Wald. Die meiste Zeit blieb dieser Bär inzwischen alleine, aber das war nicht immer so.
Er verließ seine Höhle in der er aufgewachsen war, zu einem Zeitpunkt als ihm das niemand mehr verwehren konnte und zog in die weite Welt hinaus. Nicht, dass es ihn danach gedrängt hätte so viel Neues zu erkunden, er wusste nur, er wollte eine gewisse Wegstrecke hinter sich gebracht haben, bevor er nach einem geeigneten neuen Unterschlupf Ausschau hielt.
Und so begab es sich, dass er nach einer längeren Reise den richtigen Platz für gefunden hielt, dort sein kleines Säckchen mit den wenigen Habseligkeiten auspackte und für eine unbestimmte Zeit sein Zuhause errichten wollte.
Viele neue Herausforderungen kamen auf diesen kleinen großen Bären zu, und die meisten meisterte er in einer guten Art und Weise. Nur sein Zuhause wollte nie so sein Zuhause werden, weswegen es ihn ab und an dazu drängte, seine Habseligkeiten erneut zusammen zu schnüren und ein Stück des Weges weiter zu ziehen, um sich nach einer neuen Höhle umzuschauen.
Manchmal, da blieb er auf dieser Reise alleine, meist aber gesellte sich ein weiteres Wesen dazu. Und so kam es dann auch, dass er hier und da seinen Bau nicht mehr alleine bewohnte.
Doch dieser Bär war nicht wie alle anderen Bären. Er war schwer verletzt, hatte zahlreichen Narben und viele Wunden. Doch diese Verletzungen sollte keiner sehen, und durch das dichte braune Fell wusste der Bär lange Zeit selber nichts davon.
Sicherlich, es gab die Zeiten, da fühlte der Bär sich schlecht und krank. Da er sich aber keinen Reim darauf machen konnte, dachte er auch nicht lange darüber nach sondern ging wieder seinem Tageswerk nach.
Bären sind große und starke Tiere. Aufrecht, stolz und stark. So war es ihn gelehrt worden. So hatte er zu sein. Und auch, wenn dem kleinen großen Bären oftmals nicht danach war wie ein Bär zu erscheinen, hielt er sich an das, was ihm so oft verkündet worden war.
So lief er aufrecht, auch wenn er sich innerlich krümmte.
Wirkte bedrohlich und gefährlich, auch wenn er sich lieber irgendwo angelehnt und selbst Schutz gesucht hätte.
War stark und groß, beschützte und sorgte, auch wenn ihm eher danach war, sich klein zu machen und selbst umsorgt zu werden.
Doch um all das wusste der kleine große Bär nicht. Er tat, was man ihm erzählt hatte, was große Bären nun einmal zu tun hatten.
So wechselten sich viele Jahreszeiten in ihrem Auftritt ab, und der kleine große Bär tat, was er immer getan hatte. Wie man ihn das früh geheißen hat. Nur wurde der kleine große Bär dabei immer trauriger. Und müder. Eine rechte Fröhlichkeit wollte sich auch nicht mehr einfinden.
Dann kamen dem kleinen großen Bären Bilder in seine Erinnerungen, aus längst vergessenen Zeiten, von denen er gar nicht wusste, dass er sich nie an diese erinnert hatte.
Und der kleine große Bär wurde noch trauriger. Und noch müder. Sein Tageswerk zu verrichten, das wurde immer schwerer für ihn. Trübe und schreckliche Gedanken fanden sich bei ihm ein und es wollte ihm immer weniger gelingen, diesen auszuweichen oder zu entfliehen. Auch weil seine Kräfte anfingen zu schwinden und sein Fell dünner und durchsichtiger wurde. Und so konnte der kleine große Bär zum ersten Mal selbst seine Wunden, Narben und offenen Stellen auf seinem Körper entdecken.
Zu dieser Zeit entwich ihm jeglicher Tatendrang und so sollte es geschehen, dass er eines Tages nicht mehr seinen üblichen Tätigkeiten nachging, nicht mehr durch die gewohnten Wälder streifte und auch nicht mehr auf die Tiere traf, die ihn auf seinen täglichen Ausflügen begrüßt oder sogar ein Stück begleitet hatten.
Er begab sich in ein neues, fremdes Revier und dort sollte sich seine erste Begegnung mit dem noch fremden Wesen, dem Fuchs derart auswachsen, dass dieser ihn für lange Zeit begleiten würde. Davon wusste der kleine große Bär in diesem Augenblick aber noch nichts und so nahm die Entwicklung seinen Lauf.
Der kleine große Bär versuchte weiterhin tapfer ein Bär zu sein: Groß, stark, unverwundbar.
Doch es gab schon etwas in ihm, das wusste, das dies nicht die rechte Zeit dafür war, und die schwindenden Kräfte wohl besser dafür eingesetzt werden wollten, um Wunden zu heilen und Narben zu betrauern.
Und der Fuchs sollte ihm bei diesem Weg fortan nicht mehr von der Seite weichen.
Der kleine große Bär und der Fuchs – ein ungleiches Paar. Unbekannt musste das Gegenüber erst in Augenschein genommen werden.
Für den kleinen großen Bären war es schon mit einem immensen Schmerz begleitet, sich selbst nicht mehr als den mächtigen und kämpferischen Einzelgänger zu erleben, weil ihm dafür jegliche Energie aus seinem Körper wich. Nun war ihm in dieser Zeit auch noch ein Fuchs zur Seite gestellt, der diese unwillkommene Verwandlung erspähen und als solche erkennen könnte und würde.
Was würde passieren, wenn der Fuchs erkannte, dass sich in Wahrheit hinter diesem vermeintlich starken und wehrhaften Tier ein scheues und ängstliches Wesen verbarg?
Würde der Fuchs der geschwächten und teilweise hilflosen Kreatur weiteren Schmerz zufügen, weil dieser sich augenblicklich nicht dagegen wehren könnte?
Der Fuchs blieb. Setzte sich lange Zeit auf die andere Seite des Flusses, an dem der kleine große Bär durch Betrachten der Wasseroberfläche versuchte herauszufinden, wer er denn nun wirklich war.
Dieser Fluss plätscherte mal gemütlich dahin, und mal wurde er zu einem reißenden Sturzbach, wenn länger andauernde Regenfälle die Wassermenge um ein Vielfaches vergrößerten. Und so konnte der kleine große Bär schauen und schauen, aber ein wirkliches Spiegelbild wurde ihm nicht zurück gegeben. Das lies den kleinen großen Bären bald verzweifeln.
Zumal dieser Fluss auch dazu neigte, mit jedem neuen Wasser auch neue Geschichten mit sich zu führen, welche er dem Bären dann zum Besten gab. Und sehr viele von diesen Geschichten, die handelten von dem kleinen kleinen Bären. Aus einer Zeit, als der kleine kleine Bär ganz klein war. Und alles um ihn herum soviel größer. Und klüger. Und stärker. Und manchmal auch grausamer.
Und der Fuchs verharrte an dem Ufer der anderen Flussseite, geduldig abwartend. Ab und an rief er dem kleinen großen Bären auch ein paar Sätze zu. Nicht alle sollten bei dem kleinen großen Bären ankommen.
Hin und wieder, da fragte der Fuchs auch den kleinen großen Bären, ob er wohl den Fluss überqueren dürfe um auf die andere Seite, zu ihm, zu gelangen. Doch das versetzte den kleinen großen Bären in große Furcht. Denn er wusste nicht, warum der Fuchs das tun wollte.
Viele Gedanken kamen dem kleinen großen Bären dabei in den Sinn:
Wenn der Fuchs erst einmal von Nahem erkennen würde, wie schwach der kleine große Bär wäre, vielleicht würde dieser dann diesen Augenblick nutzen, und ihn in die Fluten stoßen?
Vielleicht wollte der Fuchs aber auch nur seinen Spaß haben und ihm in sein Fell zwicken? Dem hätte der kleine große Bär im Moment ja nicht all zu viel entgegen zu setzen.
Oder aber, der Fuchs wollte sich über den kleinen großen Bären lustig machen, der ja, gerade aus der Nähe betrachtet, eher einem kümmerlich kleinen Regenwurm glich, als einem stolzen und anmutigen Bären?
Vielleicht wollte der Fuchs auch mal einen richtigen Bären aus der Nähe betrachten und wäre dann ziemlich enttäuscht, wenn er erkennen müsste, dass der kleine große Bär im Moment gar kein kleiner großer Bär war?
Und der Fuchs würde dann weiter seines Weges ziehen. Gerade wo der kleine große Bär doch anfing, sich an die Gesellschaft des Fuchses zu gewöhnen, und sich auch mit dem Gedanken anfreunden konnte, dass dort jemand war, und sogar blieb, auch wenn er oftmals gar nicht so viel gemein hatte mit einem großen, starken Bären.
Und so wechselten sich auch hier die Jahreszeiten ab, und der Fuchs verharrte weiterhin geduldig auf der anderen Seite des Flusses. Und der kleine große Bär kam nicht umhin von der Ausdauer und der Beharrlichkeit des Fuchses beeindruckt zu sein. Warum sollte sich jemand so viel Mühe machen, nur für einen Moment des Spaßes?
Und der kleine große Bär verstand, dass es ihm gut tun könnte, wenn es da jemanden gab, dem er seine Geschichten erzählen konnte.
Auch erkannte der kleine große Bär für sich, dass es wohl einfacher wäre, Geschichten zu erzählen, wenn diese nicht über den teilweise lauten Wasserlauf des Flusses gerufen werden müssten…
Diese Gedanken trieben den kleinen großen Bären mächtig um.
Schon lange hatte er niemanden nah an sich heran gelassen. Seit sein Fell dünner und durchsichtiger wurde, da schämte sich der Bär seiner Narben und Wunden und versuchte alles, um andere Tiere von einem Blick darauf abzuhalten.
Ihn hielt es nicht mehr an seinem Platz, er lief stromaufwärts. Dort merkte er aber, dass der Weg schwieriger wurde, schwerer zu gehen. Das Wasser trüber, der Grund des Flusses schmutziger. Gerne hätte er davon erzählt, aber er hatte ja den Fuchs längst auf der anderen Uferseite zurück gelassen.
Wem sonst hätte er davon erzählen können?
So machte der kleine große Bär eines Tages Rast, dachte kurz nach, drehte um und lief zurück zu der Stelle am Fluss, von welcher er gestartet war.
Der Fuchs hatte sein Versprechen gehalten, er war immer noch auf der anderen Seite. Er saß dort, schaute hinüber und nichts deutete darauf hin, dass er irgendwelche Zweifel an seinem Tun hatte.
Der kleine große Bär sah den Fuchs schon von Weitem und freute sich über seinen Anblick. So sehr, dass er darüber selbst erschrak. Ihm fiel wieder ein, warum er überhaupt fortgegangen war, und er fing wieder an, sich ein klein wenig zu fürchten. Aber der kleine große Bär wollte nicht wieder umkehren.
Und von Weitem betrachtet, da sah der Fuchs doch auch sehr freundlich und friedlich aus.
„Wenn der Fuchs die ganze Zeit dort gesessen hatte, dann…“ so dachte sich der kleine große Bär „…wäre vielleicht ja doch die Zeit gekommen, diesen zu fragen, ob er nicht auf seine Seite kommen wollte?“ Nach dieser Reise wusste er, dass es sicherlich nicht verkehrt wäre, einen Gefährten an seiner Seite zu wissen.
Er sammelte kleine Stöckchen auf, die er am Ufer fand, und begann an einer schmalen Stelle des Flusses einen Steg zu bauen. Er hätte dem Fuchs ja auch seine Tatze anbieten können um ihm übers Wasser zu helfen, aber das traute sich der kleine große Bär nicht. Vielleicht würde es sich der Fuchs ja doch anders überlegen und sich dann in seine Pranke verbeißen?
Der Fuchs wartete ab und beobachtete das Geschehen, welches dort auf der anderen Uferseite vor sich ging. Und nach und nach erkannte er das Vorhaben des kleinen großen Bären.
Doch er wollte diesen nicht zur Eile antreiben. Deswegen beließ er erst einmal dabei, auf seinem angestammten Platz zu verharren und die Fortschritte zu verfolgen.
Der Steg nahm Formen an. Und auch wenn zwischendurch manche Hölzer vom Fluss wieder abgetragen und fortgespült wurden, er kam dem anderen Ufer langsam und stetig näher.
Die Arbeit war mühselig, aber der kleine große Bär wollte nicht aufgeben. Auch verlangsamten immer wieder aufkommende Zweifel sein Tun, dennoch suchte er weiter Hölzer, Stöcke und Treibgut zusammen und setzte sein Werk fort.
Und dann kam der Tag, da war der Steg fertig. Damit allein aber noch nicht der Fuchs auf der anderen Flussseite. Das wurde dem kleinen großen Bären auch sehr schnell bewusst: Er musste den Fuchs einladen und bitten zu ihm herüber zu kommen.
Das war sehr schwer für den kleinen großen Bären, denn er hatte darin überhaupt keine Erfahrung. Denn zu all den Tieren, denen er in den zurückliegenden Jahren begegnet war, übte er sich in einer gewissen Distanz.
Weil er sich vor ihnen fürchtete.
Weil er Angst hatte, dass sie ihn auslachen würden.
Weil er befürchtete, sie würden weglaufen, wenn sie seine Narben und Wunden sehen.
Oder sie ihm weh tun würden, weil sie sehen konnten, dass dieser kleine große Bär doch nicht so stark und unverwundbar ist.
Doch eines Tages, da sammelte der kleine große Bär all seinen Mut zusammen den so ein Bärentier aufbringen kann und rief dem Fuchs auf der anderen Seite zu:
„ich habe immer noch etwas Furcht vor dir. Denn du bist mir immer noch ein wenig fremd, auch wenn dein Anblick mir vertrauter wird.
Doch immer wenn ich in den Fluss schaue, und dieser mir die unterschiedlichsten Bilder zurück gibt und die verschiedensten Geschichten erzählt, ich dann aufblicke und auf die andere Seite schaue, dann sehe ich dich.
Du bist da. Egal was ich sehe oder höre. Das ist gut. Und es tut gut, all das mit jemand teilen zu können.
Es ist dann nun wohl an der Zeit, dass ich dir mehr zeigen möchte, und mehr erzählen. Und ich mich auch einmal trauen möchte, jemanden meine Narben und Wunden zu zeigen. Weil sie alle so fürchterlich weh tun.
Und vielleicht weißt du ja, was ich tun kann, damit sie nicht mehr so schmerzen. Aber dafür muss ich sie dich ja anschauen lassen.
Ich habe immer noch etwas Furcht vor dir. Denn du bist mir immer noch ein wenig fremd. Aber ich würde mich freuen, wenn du den Steg überqueren, und dich als Freund an meine Seite setzen würdest.“
Und der Fuchs stand langsam auf, reckte sich, schaute sich noch einmal um, und hob eine Pfote um los zu laufen …
***
Der Fuchs lief los, und auch wenn er die Richtung des fertig gestellten Steges wählte, so war sich der kleine große Bär nicht sicher, ob er diesen auch überqueren würde. Oder weiter ziehen und diesen zu seiner Rechten unbeachtet lassen.
Der kleine große Bär hielt den Atem an. So groß war die Anspannung vor dem, was nun gleich passieren würde. So riesig war die Aufregung um das, was er sich gerade getraut hatte dem Fuchs zu offenbaren. So spürbar war die Angst, die ihn keine Sekunde von dem Geschehen verpassen lassen wollte und er sich gleichzeitig wünschte, er könnte sich wegzaubern.
Der Fuchs wählte sein Tempo. Er geriet nicht in Eile, er trödelte nicht.
Er hatte keinen Grund das Eine oder das Andere zu tun.
Und wieder war der kleine große Bär von der Erscheinung und des Auftretens des Fuchses mächtig beeindruckt. Er schien sich seiner Sache so sicher zu sein. Und selbst wenn er Zweifel haben sollte, da war sich der kleine große Bär sicher, würde der Fuchs auch diese mit einer Selbstverständlichkeit zeigen, ohne dass diese nur annähernd hätten etwas an seiner Ausstrahlung zu ändern vermocht.
Der kleine große Bär entfernte sich keine Haaresbreite von dem Platz, den er gewählt hatte, als er dem Fuchs das Angebot über den Fluss trug. Er wagte es auch nicht seinen Kopf zu drehen um den Bewegungen des Fuchses folgen zu können. So, als könne er diesen mit einer unbedachten Bewegung erschrecken und zur Flucht auffordern. So bleib ihm nur, ihn auf dessen Weg aus den Augenwinkeln zu beobachten.
Der Fuchs ging seinen Weg. Und ohne zu zögern bog an nach ein paar gegangenen Meter ab und setze seine Strecke über den Steg fort, scheinbar ohne die geringste Überlegung, ob dieses Bauwerk überhaupt seiner Überquerung stand halten würde.
Auf der anderen Uferseite angekommen, da verlangsamte er seinen Schritt, schaute den kleinen großen Bären freundlich und offen an, um dann 3 Meter vor diesem Halt zu machen und sich zu setzen.
Ganz langsam und vorsichtig wagte der kleine große Bär seinen Kopf zu wenden, in die Richtung, aus welcher der Fuchs von ihm erwartet wurde. Als er seinen Kopf soweit gedreht hatte, das beide sich von Angesicht zu Angesicht anschauen konnten, da blickte der kleine große Bär in ein Fuchsgesicht, das von einer solchen Güte und Offenheit und solchem Wohlwollen geprägt war, dass er für diesen kurzen und doch gleichzeitig ewig andauernden Moment jegliche Zweifel, Ängste und Furcht vergessen konnte.
In dieser Position verharrten sie in großem Respekt voreinander und keiner von beiden hatte Eile darin, etwas daran zu ändern.
***
Der kleine große Bär sollte diesen Moment nicht vergessen. Auch wenn er sich später nicht mehr als solchen an ihn erinnern würde. Denn dieser Augenblick war ein Moment in einer Entwicklung, welche schon zuvor begann und noch lange nicht zu Ende war.
Er spürte, dass etwas Besonderes geschah, etwas für ihn bisher Einmaliges, oder aber längst Vergessenes. Vergrabenes. Verschüttetes.
Er hielt dem Blick nicht mehr stand, schaute verschämt zur Erde, um seinen Blick dann zum Fluss wandern zu lassen, dessen Strudel und Wirbel das Treiben in seinem Inneren nicht hätten besser widerspiegeln können.
Langsam wandte er dem Fuchs wieder seinen Blick zu und weil ihm nichts Schlaues einfallen wollte, begrüßte er diesen mit den Worten:
„ich freue mich, dass du meiner Einladung gefolgt bist. Ich war lange nicht sicher, ob du das tun würdest, so sehr hoffte ich um diesen Moment und fürchtete ihn gleichzeitig.
Und nun bist du hier, auf meiner Seite des Flusses, und ich weiß nun nicht so recht, was tun.
Ich traue mich kaum zu atmen, versuche mich nur langsam zu bewegen um dich nicht zu verschrecken, möchte dir danken.
Und doch auch möchte ich dich wieder wegschicken. Möchte ich weglaufen, wieder tief in den Wald hinein, mir eine Höhle suchen und mich dort verkriechen.“
Der Fuchs schaute den kleinen großen Bären an und nickte. Er verstand. Etwas, was für den kleinen großen Bären noch nicht zu begreifen war.
„Du kannst mich wieder wegschicken“ so begann der Fuchs leise und bedacht zu dem kleinen großen Bären zu sprechen, „und dennoch wird nichts mehr so sein, wie es zuvor war.
Du hast diesen Steg nicht ohne Grund gebaut. Und auch wenn es für dich im Augenblick nicht so erscheinen mag, du ihn für unsicher und wackelig hältst, das aber wird sich ändern, ohne das du viel dazu tun müsstest.
Die Stöcke und das Treibgut, welches der Fluss mit sich führt, die werden sich in dem Steg verfangen, von diesem an der Weiterreise gehindert werden, und mit jedem Mal wo das geschieht, da wird dieser Steg wachsen. Stabiler werden. In seine Fugen werden sich Blätter und Äste einnisten und diesen Übergang verstärken.
Du kannst mich wieder wegschicken. Oder ich kann selbst einmal gehen. Doch es wird für dich und für mich immer einfacher werden, zur anderen Seite zu gelangen. So sind wir frei darin zu entscheiden, wonach uns gerade ist.“
Es sollte einen Augenblick dauern bis der kleine große Bär die Worte des Fuchses erfasste. So von Nahem klang die Stimme des Fuchses auch ein wenig anders, und während er darüber nachdachte, da schaute er auf den Steg, welcher sich im Rücken des Fuchses befand.
Und er wurde ein wenig stolz. Denn so etwas hatte er noch nie gebaut. Er konnte Höhlen einrichten, Bäume fällen, Schutzwälle errichten, aber einen Steg hatte er noch nie gebaut.
Er war mehr als nur ein wenig stolz. Dass traute er sich aber nicht zu zeigen. Denn wenn er so auf diesen Steg schaute, da war dieser schon ziemlich krumm und schief. Doch für ihn war es der tollste Steg, den er je gesehen hatte. Und er hatte ihn selbst gebaut. Der kleine große Bär war mächtig stolz auf sich.
„Das darfst du ruhig sein“ so sprach der Fuchs zu ihm, als ob er die Gedanken des kleinen großen Bären lesen könnte, „es ist ein grandioses Bauwerk, was du da geschaffen hast. Und du hast mehr als gute Gründe stolz auf dich zu sein.“
„Doch nun verzeih mir mein Freund“, setzte der Fuchs erneut zum Reden an, „der Tag war für mich sehr anstrengend. Ich werde mir nun in dem Wäldchen hinter dir eine kleine Bodenkuhle suchen und mich zum Schlafen legen.“
Langsam erhob sich der Fuchs und nickte dem kleinen großen Bären noch einmal zu als er an diesem vorbei in den Wald schritt um sich ein Lager für die Nacht zu bereiten.
***
Der kleine große Bär verharrte an seinem Platz und lies die Worte des Fuchses nachklingen, als dieser an ihm vorbei zog.
Zu aufgewühlt war er, als das er es ihm hätte gleich tun können. Er wandte seinen Blick wieder dem Fluss zu und tauchte dort gedanklich ein. Hoffend, dass er von diesem Antworten auf die vielen Fragen, die ihn umtrieben, finden würde.
Woher nahm der Fuchs diese Zweifellosigkeit während er nicht ansatzweise eine Antwort finden konnte?
Wie konnte es sein, dass dieser so scheinbar ohne Furcht und große Sorge auf das blickte, was kommen würde? So als kenne er die Zukunft. Und auch wenn er ahnte, dass der Fuchs große Fähigkeiten besaß, so war er sicher, dass auch er kein Wissen um das Morgen hatte.
Aber vielleicht war das auch gar nicht notwendig, reichte es aus, diesem mit Zuversicht zu begegnen?
Der kleine große Bär fühlte sich mit einem Male ziemlich dumm.
Nun war er schon so viele Vollmonde in den verschiedensten Gebieten unterwegs gewesen, war den unterschiedlichsten Tieren begegnet, hatte auch kleine Abenteuer bestanden, und doch schien er immer noch so wenig zu wissen.
Der kleine große Bär wurde immer verwirrter. Wie konnte es sein, dass er von dem allen nichts wusste? Und wie sollte er das alles lernen? Es schien ihm so viel.
Er rückte näher an das Wasser, schaute hinein. Da es aber schon dunkel war, konnte er sich auch noch so sehr bemühen, der Fluss gab kein Bild zurück.
Dafür aber nährte der kleine große Bär den Fluss mit seinen Tränen.
***
Da war die Freude über einen Weggefährten. Jemand, mit dem er sprechen konnte, wenn er es wollte. Oder aber auch gemeinsam schweigen. Das hatte er sich so lange gewünscht. Zu lange, denn über die vielen Mondwechsel die es seitdem gegeben hatte, hatte er vergessen wie das ging. Er wusste noch nicht einmal mehr, ob er es überhaupt je gekonnt hatte.
Doch, der Fuchs war eben auch ein Fuchs. Kein Bär. Schon gar kein kleiner großer Bär. Und mit Füchsen kannte sich der kleine große Bär nicht aus.
Vielleicht waren sie ja nur nett, bis sie nahe genug an ihrer vermeintlichen Beute waren um zubeißen zu können? Oder vielleicht wollte der Fuchs aus dem kleinen großen Bären auch einen Fuchs machen?
Und plötzlich war die Furcht vor diesem fremden Wesen wieder größer, als die Freude über einen gewonnenen Freund. Und der kleine große Bär überlegte, ob er nicht das Dunkel der Nacht dazu nutzen sollte, sich leise davon zu schleichen und im Wald zu verschwinden. Und wenn er die ersten Bäume hinter sich gelassen hat, dann ganz schnell laufen, damit er schon weit weg war, bevor der Fuchs aus seinen Träumen erwachte.
Doch so recht konnte der kleine große Bär sich nicht dazu entschließen, und während er weiter grübelte, was denn wohl nun das Beste sei, da schaute er sich um.
Und sein Blick fiel auf den Steg, der im Dunkel der Nacht nur schemenhaft auszumachen war. Aber er war da, dort, wo der kleine große Bär ihn gebaut hatte. Und ihm kam wieder in den Sinn, warum er das getan hat.
Der kleine große Bär seufzte schwer, er wusste um die Größe dieser Entscheidung. Dann schaute er in die Richtung, in der er den Fuchs vermutete und konnte, wenn er sich ganz arg anstrengte, die Umrisse seines neuen Freundes erkennen, der es sich in einer Kuhle gemütlich gemacht hatte.
Nein, er wollte nicht weg gehen. Noch nicht. Das konnte er später auch noch tun. Wenn er sich dazu entschieden hatte. Vielleicht morgen. Oder übermorgen.
Darüber fiel der kleine große Bär in einen unruhigen Schlaf.
Als die Sonne sich aufmachte, dem neuen Tag das Licht zu geben, erwachte der kleine große Bär aus einem wirren Traum. Er reckte sich und sein erster Blick galt dem Steg um danach direkt nach der Stelle zu schauen, wo der Fuchs sich gestern zum Schlafen gelegt hatte.
Dieser lag dort noch immer und schlief. Und als der kleine große Bär in da so schlafend sah, da fiel ihm auf, dass er ja doch viel größer war als der Fuchs. Und wahrscheinlich auch viel stärker, selbst wenn er sich im Moment so schwach fühlte.
So dass er doch gar keine Angst vor dem Fuchs haben müsste, sollte es sich dieser doch anders überlegen und ihm nicht mehr gut sein.
So wollte er doch erst einmal bleiben, dem Fuchs einen „Guten Morgen“ wünschen, und erst einmal schauen, was so passieren würde. Und mit diesem Gedanken hatte er auch gar keine Furcht mehr, und er freute sich darüber, gestern nicht einfach abgehauen zu sein.
***
Doch je länger er seinen neuen Freund in seinem Schlaf beobachtete, umso mehr kam auch die Furcht wieder. Und Fragen, die der kleine große Bär für sich einfach nicht beantworten konnte.
Wie konnte der Fuchs dort liegen und schlafen? Wieso hatte dieser keine Furcht, dass ihm jemand Unheil zufügen könnte, in der Zeit wo er so wehrlos da lag?
Er beneidete den Fuchs, gerne würde er auch einen Schlaf finden, in den er sorglos eintauchen konnte, frei von Ängsten und Gedanken an die Gefahren um ihn herum.
Der Winterschlaf war noch eine Zeit, die dem kleinen großen Bären gut bekam. Denn das war die Zeit, wo er sich komplett zurück zog, seine Schlafstätte gegen alle möglichen Gefahren absicherte, sich in die hinterste und dunkelste Ecke seiner Höhle verkroch, sich einkugelte und in einen langen Schlaf fallen sollte.
Doch diese Zeit war vorbei, es war Frühling. Und außer ihm waren auch wieder andere Tiere erwacht und warteten voller Tatendrang auf neue Abenteuer.
Der kleine große Bär hätte es dem Fuchs so gerne gleich getan, aber so sehr er sich das auch wünschte, seine Angst war zu groß.
Was, wenn der Fuchs erwachte, und nichts von dem was in der zurück liegenden Zeit geschehen war, wahr gewesen sein sollte?
Was, wenn er sich getäuscht hatte? Und nun, bei der immer heller werdenden Sonne, die Situation eine ganz andere war, als er sie in Erinnerung hatte?
Der kleine große Bär wusste darum, einen Freund gefunden zu haben. Und gleichzeitig schmerzte ihn die gerade aufkommende Erkenntnis, dass er nicht länger bei ihm und mit ihm verweilen konnte.
Bevor der Fuchs sich von ihm abwendete, weil der kleine große Bär ein solcher Angsthase war, da wollte dieser das lieber selbst tun. Das würde nicht so weh tun.
„Pass gut auf dich auf, mein Freund“ so flüsterte der kleine große Bär seinem Gefährten auf Zeit zu „geh weiter deines Weges und du wirst Tiere treffen, die deiner würdig sind“.
Beschämt schaute der kleine große Bär zur Erde und fuhr fort: „ich bin es leider nicht. Und eines Tages würdest du das auch erkennen. Und dann wäre es schwieriger für uns, die Wege zu trennen.“
Der kleine große Bär packte die wenigen Habseligkeiten zusammen über die er noch verfügte, schnürte sein Säckchen, nickte dem Fuchs in der Kuhle ein letztes Mal zu, sandte ihm mit seinem Blick ein unausgesprochenes „Danke“, um dann im Wald einzutauchen.
So konnte der kleine große Bär auch nicht mehr wahrnehmen, dass der Fuchs schon eine ganze Zeit nicht mehr schlief, sondern seine Augen nur geschlossen hielt um den Worten des kleinen großen Bären zu lauschen.
Als dieser sich in den Wald aufmachte, da öffnete der Fuchs seine Augen und schaute dem kleinen großen Bären nach, bis dieser im Wald verschwand.
In den Augen des Fuchses war Sorge abzulesen und in seinem Gesicht waren einige Fragen geschrieben …
***
Der kleine große Bär kam nicht sehr tief in den Wald, denn je weiter er dort vorwärts stapfte umso langsamer und zaghafter wurden seine Tapser. Und umso größer wurden seine Zweifel, ob er denn wirklich das Richtige tat. Je mehr er sich von der Stelle entfernte, von der er den Fuchs zurück gelassen hatte, um so mehr nagte diese Frage in ihm.
Der kleine große Bär suchte sich am Rande einer Lichtung einen Baum im Schatten, nahm dort Platz und lehnte sich mit dem Rücken an dessen Stamm. Wieder einmal versuchte er, die vielen Gedanken in seinem Kopf zu sortieren: bevor er loszog fühlte sich das richtig an. War es für ihn die einzige Möglichkeit. Doch je weiter er sich von dem Fuchs entfernte, umso näher fühlte er sich diesem. Und hoffte auf ein weiteres Gespräch, was er aber durch sein Fortgehen ja unmöglich gemacht hatte.
Der kleine große Bär musste erkennen, dass er wohl einen Fehler gemacht hatte. Sein Weggehen nicht gut war.
Er schaute auf die Lichtung im Wald, wo die ersten Sonnenstrahlen begannen das Tau von den Grashalmen zu kitzeln. Die ersten Rehe wagten sich scheu aus dem Dickicht ins Tageslicht, Schmetterlinge begannen, ihren eigenen Reigen aufzuführen, und hier und da waren schon Bienen unterwegs, um Nektar für den Tag zu sammeln.
Von den Ästen waren nun auch die unterschiedlichsten Melodien und Werbegesänge der Vögel zu vernehmen und der kleine große Bär war fasziniert von dem Schauspiel, welches sich ihm darbot.
Die unterschiedlichsten Wesen konnten hier friedlich nebeneinander dem nachgehen, wonach sie sich berufen fühlten. Sie waren jeder für sich ein Ganzes und gleichzeitig Teil eines Ganzen. Nur der kleine große Bär fühlte sich überhaupt nicht dazugehörig.
Manchmal, da wünschte sich der kleine große Bär, einfach mal dazu zu gehören. Aber er wusste nicht wie das geht. Hatte es noch nie gewusst. Wie sollte er darauf eine Antwort finden?
„Ob der Fuchs wohl eine wüsste?“ kam es ihm in den Sinn. Und gleichzeitig mit der Idee, ihn doch einfach zu fragen, da fiel ihm wieder ein, dass er von diesem ja gerade weggegangen war. Und wieder verstand er, dass sein Weggehen nicht gut war.
„Wenn ich mich nun ganz schnell beeile, los laufe um wieder an die Stelle an den Fluss zu kommen, vielleicht komme ich ja noch rechtzeitig, bevor der Fuchs aufgewacht ist, und er wird niemals davon erfahren?“ dachte der kleine große Bär so bei sich.
„Oder aber, ich suche unterwegs ein paar Brombeeren und nach etwas Honig, bringe sie dem Fuchs mit und biete sie ihm als Frühstück an. So, als ob dies mein Vorhaben für diesen Ausflug gewesen sei“ kam dem kleinen großen Bären als Zweites in den Sinn.
„Aber das wäre alles gelogen. Und einen Freund schwindelt man nicht an…“ so überlegte er weiter, und lies dabei resigniert die Schultern sinken „… ich weiß, was ich tun werde: ich werde etwas Futter sammeln, zurück gehen, und nichts weiter dazu sagen. Sollte der Fuchs nicht nachfragen, werde ich es nicht erwähnen. Sollte er es wissen wollen, dann soll er wissen, wie es war. Und ich werde mich fürchterlich schämen. Aber Freunde schwindelt man nicht an.“
Der kleine große Bär seufzte einmal tief, erhob sich schwer und machte sich auf den Weg zurück.
***
Und wie der kleine große Bär so gedankenversunken wieder den Weg zurück zu der Stelle am Ufer antrat, da merkte er gar nicht, dass er an einer Gabelung nicht den Pfad beschritt, von dem er gekommen war.
Einzig seinen Gedanken folgend und hier und da Brombeeren und anderen Waldfrüchte pflückend, welche sich ihm rechts und links darboten, schritt er immer tiefer in den Wald hinein. Nach einer Zeit, die der kleine große Bär nicht in Minuten oder Stunden hätte ausdrücken können, da blieb er stehen, schaute sich um und stutze. Und da wurde ihm gewahr, das ihm dieser Abschnitt des Waldes völlig unbekannt und dies sicherlich nicht der rechte Weg zurück war.
Der kleine große Bär konnte darüber schon nicht einmal mehr traurig werden, wieder seufzte er tief, trat einen Schritt an die Seite und setzte sich etwas abseits des Pfades auf einen mit Moos bewachsenen Stein. Er musste erkennen, dass er sich verlaufen hatte Wohl weiter entfernt von dem Fluss, seinem Steg und seinem neuen Freund, dem Fuchs, als er es je gewollt hatte. Nun waren alle seine Pläne durchkreuzt, denn niemals würde er rechtzeitig zu seinem ursprünglichen Ausgangspunkt zurückkommen. Und er war sich auch sicher, dass der Fuchs dort nicht länger auf ihn warten würde.
Er war wieder einmal ganz allein auf sich selbst gestellt.
Das war ihm nicht unbekannt. Das war ihm nicht fremd. Es jagte ihm keine Furcht ein, aber traurig wurde er darüber. Sehr traurig. Und so musste der kleine große Bär erkennen, dass ihm an seinem neuen Weggefährten etwas lag. Etwas, was er gerne verleugnet hätte, und er auch so einige Zeit genau dies tat. Es vor sich selbst verheimlichte, weil ihm diese Freude so unvertraut war. Und alles, was ihm unvertraut schien, unbekannt war und ihn neu fühlen lies, das betrachtete der kleine große Bär erst einmal mit einer großen Distanz. Und Angst.
So war er wieder an dem Punkt, an dem er schon so oft war: Auf sich allein gestellt und mit sich hadernd.
„Du musst nicht so streng mit dir ins Gericht gehen“ so tönte eine tiefe leise Stimme, deren Ursprung für den kleinen großen Bären so schnell nicht auszumachen war. „Du gehst Wege und Pfade, manchmal um dich von Etwas zu entfernen, aber immer werden sie dich auch irgendwo hin führen. Das Eine bleibt nie ohne das Andere.“
Der kleine große Bär schaute irritiert und verwundert um sich, aber immer noch konnte er nicht ausmachen, von wo die Stimme zu ihm sprach.
„Wenn du nach oben schaust, zu dem Baum unter dem du sitzt, dann wirst du mich sehen können. Aber eigentlich ist das gar nicht wichtig, denn es macht für das, was ich dir sagen möchte, keinen Unterschied.“
Der kleine große Bär schaute auf zu dem Ast der sich in einiger Höhe direkt über ihm befand und konnte mit ein klein wenig Mühe die Eule erkennen, die dort, durch ihr Fellkleid gut getarnt, mit großen Augen auf ihn herab schaute.
„Manchmal, da läufst du die gleichen Wege öfters, aber immer mal wieder, da weichst du auch davon ab, und sie führen dich in neues Gelände. Aber viel wichtiger dabei ist, dass du dich immer wieder dazu aufmachst, diese Wege zu gehen.“
„Vielleicht mögen deine Worte eine Wahrheit beherbergen, die sich mir aber nicht erschließt. Ich habe mich gerade auf einen Weg gemacht, der mich von einem neuen Gefährten entfernt hat. Das war keine gute Entscheidung, denn vielleicht wäre es an der Zeit gewesen, auch einmal eine Weile an einem Ort zu verharren?“ widersprach der kleine große Bär den Worten der Eule.
„So aber bin ich wieder einmal weg gegangen, weg gelaufen. Und als ich bemerkt habe, dass es wohl ein Fehler war, da habe ich mich auf dem Weg zurück verirrt“ fügte der kleine große Bär noch traurig hinzu und bei diesen Worten ließ er seine Schultern hängen und schaute betrübt zu Boden.
„Man verliert keine Freunde dadurch, dass man zwischendurch seine eigenen Wege geht, neue Eindrücke sammelt, Erfahrungen dazu gewinnt. Man verliert Freunde dadurch, dass man sie aus seinem Herzen nimmt, sie aus seinen Gedanken verstößt, sie vergisst. Und manchmal, da muss man von etwas oder jemanden weggehen, um wiederkommen zu können“ erwiderte die Eule. „Denn wer sich ein Freund nennt, der erkennt auch, dass du nicht gegangen bist um dich von ihm zu entfernen, sondern viel eher um dir näher zu kommen. Und wenn du das erreicht hast, dann kannst du deinem Freund wieder begegnen und dieses neue Erleben mit ihm teilen“ beendete die Eule ihre Aussage.
Der kleine große Bär hing diesen Worte noch ein wenig nach, und je länger die Stille andauerte, um so mehr konnte er fühlen, was die Eule ihm wohl sagen wollte. Und seine Traurigkeit, die wurde kleiner, und seine Hoffnung erhielt neue Nahrung, weil er immer mehr glauben wollte, was die Eule ihm gerade versprach.
Und er bemerkte, dass sie wohl Recht haben könnte, mit dem was sie sagte. Denn in seinen Gedanken und in seinem Fühlen, da war der Fuchs immer noch sein Gefährte. Auch wenn dieser ihm gerade nicht zur Seite war. Und er lies seine Gedanken weiterziehen, um zu schauen, welch weiteres Erkennen vielleicht folgen würde.
***
Nachdem der kleine große Bär seine Vorräte an Früchten aufgegessen hatte und auch die Eule keine weiteren Worte mehr an in richtete, erhob sich der kleine große Bär, etwas unsicher und unschlüssig, und überlegte, welchen Weg er nun weiter einschlagen sollte.
Er wollte nicht den Pfad wählen, von dem er gekommen war, und so ließ er diesen in seinem Rücken und setzte seine Wanderschaft in ein ihm unbekanntes Terrain fort.
So vergingen Tage und Nächte, und mit jeder Stunde, die der kleine große Bär so unterwegs war, da erkannte er immer deutlicher die Wahrheit in den Sätzen der Eule.
Vieles war ihm vertraut, die Bäume, die Sträucher und so einige Tiere, die seinen Weg kreuzten. All das kannte er schon von den vielen Wanderschaften zuvor. Und das stimmte ihn zuversichtlich. Denn vor alle dem, was ihm dermaßen bekannt vorkam, da hatte er wenig Furcht.
Doch Einiges war ihm auch absolut unbekannt.
Fremde Gerüche, von denen er nicht wusste, woher sie stammten.
Manche waren mild und lieblich. Gerne verweilte er an diesen Stellen und atmete tief ein, um möglichst viel von diesen wunderbaren Aromen in sich aufzunehmen.
Manche aber, die waren streng und ungeheuer. Sie rochen Unheil verkündend. Sein Atem wurde flach und seine Augen irrten umher und hielten nach möglicher Gefahr Ausschau.
Oftmals machte er sich die Mühe, herauszufinden, worin die Herkunft des jeweiligen Geruches stammte. Manchmal, da konnte er die Quelle ausmachen, und manchmal, da blieb sie ihm verborgen.
Bei den wohltuenden Gerüchen bedankte er sich bei diesen für das Geschenk, welches sie ihm gerade gemacht hatten.
Bei den beängstigenden Gerüchen, da hielt er Abstand, beäugte deren Herkunftsort noch ein wenig um dann weiter seines Weg weiter zu ziehen.
Neue Geräusche, die er zum ersten Male in seinem Leben vernahm.
Manche von ihnen, ähnlich einer ruhigen und sanften Melodie, waren angenehm, schmeichelten oder erzeugten ein warmes Gefühl in ihm. Dabei spürte er, wie sein Herz vor Freude schneller schlug und er sich gar nicht satt hören konnte an diesen Lauten.
Manche aber, die waren furchtbar. Sie schmerzten, als sie dem kleinen großen Bären zu Ohren kamen. Ähnlich einem erschütternden Schrei gingen sie ihm durch Mark und Pfote. Und für einen Moment fühlte er sich unfähig, sich zu bewegen und sich von ihnen zu entfernen.
Manchmal, da konnte er einen Vogel ausmachen, der ihm diese angenehme Melodie zutrug. Und er blieb stehen und lauschte dieser Kreatur noch ein kleines Weilchen.
Und manchmal, da erkannte er einen alten und kranken Baum, dessen Krone sich langsam immer mehr der Erde entgegen neigte und dessen Mitte jeden Moment zu brechen drohte. Und auch wenn er um die Gefahr wusste, dass dieser vielleicht genau an jener Stelle zum Boden fallen sollte, an der sich der kleine große Bär gerade aufhielt, brauchte er doch immer etwas Zeit, um sich von diesem Ort zu lösen und sich aus der Gefahrenzone zu begeben.
Er sah sich neuen Panoramen und Bilder gegenüber, wie der kleine große Bär sie zuvor noch nie gesehen hatte.
Manche hatten Farben, die so fröhlich und frohlockend in der Sonne strahlten, so dass der kleine große Bär gar nicht umhin konnte es ihnen gleich zu tun, und ein Lächeln zauberte sich in sein Gesicht.
Manche aber waren so düster und wirkten äußerst bedrohlich, dass es ihm so vorkam, als zöge sich ein Mantel aus Eis über sein bäriges Fell, welcher damit drohte ihn erfrieren zu lassen. Es bedurfte einer großen Kraftanstrengung, diesen Mantel der Kälte abzustreifen und weiter zu ziehen.
So verbrachte der kleine große Bär einige Zeit damit, in einer neuen Umgebung, Vertrautem und Unbekanntem zu begegnen und sich diesem jeweils zu stellen.
Und mit der Zeit verstand er immer mehr, was die Eule ihm wohl versuchte mit auf den Weg zu geben.
Denn mit jedem Male, wo er etwas Angenehmes erlebt hatte, da wuchs ihn ihm die Freude immer etwas mehr.
Und mit jedem Male, wo er etwas Grausamen oder Schmerzhaften gegenüber stand, und sich dieser Situation stellen konnte um danach weiter gehen zu können, da nahm das Begreifen zu, dass er doch viel kräftiger und mutiger ist, als er das von sich selbst geglaubt hätte.
Und nach jeder dieser Begebenheiten spürte er, er hätte gerne dem Fuchs davon erzählt. Seine Freude geteilt. Oder sein Unwohlsein.
Aber der Fuchs war nicht an seiner Seite. Und je länger der Weg andauerte, umso mehr verstand er, dass er diese Erfahrungen vielleicht gar nicht hätte machen können, wenn ihm der Fuchs die ganze Zeit als Gefährte zur Seite gestanden hätte.
Dieser Gedanke vermochte die Traurigkeit über sein Weggehen und das Zurücklassen des Fuchses meist ein wenig zu lindern.
Und so sollte es geschehen, dass nach einer Zeit der Wanderschaft, sich der kleine große Bär eines Tages an einem Fluss wieder fand. Die Stelle war ihm seltsam vertraut und doch so unbekannt.
Er hielt inne und schaute umher, als sein Blick auf einen Steg fiel, der unweit von ihm die gegenüberliegenden Ufer miteinander verband.
Er brauchte einen Moment, und sein Herzschlag beschleunigte sich genau in dem Augenblick als er erkannte, das es genau jener Steg war, denn er damals gebaut hatte. Und dieser zwischenzeitlich doch zu einer breiten und stabilen Brücke angewachsen war.
Und als er weiter umschaute, da begriff er, warum ihm dieser Ort so bekannt und doch gänzlich unvertraut vor kam: er stand an jener Seite des Flusses, an welcher der Fuchs die erste Zeit ihres Kennenlernens gesessen hatte. Und konnte von dort auf das andere Ufer schauen, jenes Ufer, an dem der kleine große Bär so viele Spuren im Sand hinterlassen hatte, weil ihn soviel Gedanken und Ängste umtrieben.
Und als er auf die andere Seite schaute, da spürte der kleine große Bär, dass er sich verändert hatte. Das diese Reise, mit all seinen neuen Eindrücken und Erfahrungen, Spuren in ihm hinterlassen hatte. Dieses Gefühl erfüllte ihn mit Ehrfurcht und Stolz.
Und er war sich sicher, dass es nun nicht mehr lange dauern würde, bis er wieder auf seinen Gefährten, den Fuchs treffen würde. Und sie sich neu und dennoch vertraut begegnen würden.
EPILOG
Der kleine große Bär sollte mit seiner Ahnung Recht behalten: es verstrich nicht allzu viel Zeit und der Fuchs ward wieder an seiner Seite.
Von nun an sollten sich ihre Wege des Öfteren kreuzen. Sie verweilten eine Zeit miteinander, tauschten Erlebtes und Erfahrenes aus um dann jeder für sich seines Weges zu ziehen.
In dieser Übereinkunft begegnete man sich immer wieder neu, und für den kleinen großen Bären war es länger, immer wieder eine Zeit des erneuten Kennenlernens.
Und doch wuchsen mit jeder Zusammenkunft die Vertrautheit und das Wissen um den Anderen.
In all ihren Zusammenkünften lernte der kleine große Bär immer mehr von sich zu zeigen. Zaghaft, vorsichtig und manchmal doch noch sehr scheu. Doch mit wachsendem Zutrauen in sich selbst, in den Fuchs und in ihre Gespräche.
Es gab Vieles, was den kleinen großen Bären oftmals auf das Heftigste umtrieb, und er fand immer öfter den Mut, dem Fuchs davon zu berichten. Und mit jedem Mal, da begriff er immer mehr: er hatte einen Freund gefunden.
Und wer weiß, vielleicht, eines Tages, da wird auch ein solches Ereignis seinen Weg in die Berichterstattung finden...
Es ist nicht notwendig, die gleiche Sprache zu sprechen,
um sich zu verstehen,
aber es ist dafür unabdingbar,
sich einander zuzuwenden